Lavaredo Ultra Trail 26. - 28. Juni 2015
„Lavaredo Ultra Trail“ - Drei magische Worte! Faszinierende Worte! Versprechen sie doch höchsten alpinen Laufgenuss! Der „Misurinasee“, die „Drei Zinnen“, das „Val Travenanzes“, der „Passo Falzarego“, die „Cinque Torri“, der „Passo Giau“, die „Gusela“, die gewaltige Felskulisse des „Croda da Lago“ sind einige der herausragenden Passagen dieses Laufes, der oft oberhalb der 2.000 m – Marke seinen Weg sucht. In Zahlen ausgedrückt sind das 119 km, gespickt mit 5.850 Höhenmetern. Gestartet wird in der 1956-er Winter-Olympiastadt „Cortina d'Ampezzo“, im Herzen der Dolomiten. In den Abendstunden des 26. Juni 2015 fieberte auch ich dem Start dieses unglaublichen Rennens entgegen.
Den Jahresurlaub hatten Kerstin und ich vorsorglich schon so geplant, dass nach 2 Wochen in den Bergen Südtirols der „Lavaredo Ultra Trail“ den krönenden Abschluss bildet. Auch in Hinblick auf die Akklimatisation und eine letzte Trainingsphase im alpinen Terrain eine gute Entscheidung. Reichlich 130 km konnten so im Vorfeld in Höhen über 1.000 m noch bewältigt werden. Ein gewaltiger Unterschied zum heimischen Terrain, welches topfeben auf 65 m liegt! Bei einer Besteigung des „Similaun“ (3.606 m) ließ sich zusätzlich auch der Umgang mit ganz dünner Luft erproben. Bestens vorbereitet reisten wir also aus dem „Alto Adige“ weiter in die Provinz „Belluno“. „Cortina d'Ampezzo“ empfing uns mit strahlend blauem Himmel und einer atemberaubenden Dolomitenkulisse. Wir erkundeten ausgiebig Ort und Umgebung, genossen die Sonne am Fuße der „Cinque Torri“, das Panorama auf dem „Monte Rite“, an Reinhold Messners Museum „Dolomites“, oder nicht nur einmal, leckeres Eis inmitten Cortinas.
Mit dem Abholen der Startunterlagen wurde es dann aber ernst! Einer stressigen und ausgiebigen Kontrolle der Pflichtausrüstung durch die Veranstalter, folgte dann ein ebenso ausgiebiges Studium der Wettervorhersagen. Bestes und sonniges Laufwetter wurde vorhergesagt, mit kurzen Schauern am Samstagabend. Da wanderte die lange Regenhose doch glatt aus dem Laufrucksack zurück in den Koffer und auch das dicke Shirt verschwand in die gleiche Richtung.
Die letzten 2 Stunden vor dem Start genossen wir in einem Café in Startnähe, wo mehrere Cappuccini die Müdigkeit vertrieben. Schließlich hieß es auf dem Trail hellwach zu sein für die nächsten 24 Stunden! War es doch mein erklärtes Ziel, unter dieser Marke zu finishen, 6 Stunden unter dem maximalen Zeitlimit.
Um 22.30 Uhr ging es endlich hinein in den Startblock. 1.200 Gleichgesinnte aus 56 Herren Länder, aufgeregt und angespannt bis in die Haarspitzen, mit demselben Ziel, auf engstem Raum vereint. Ein wirklich babylonisches Sprachgewirr. Dann, Ennio Morricones „The Ecstacy of Gold“ schallt über die Köpfe…, es wird auf Italienisch von 10 heruntergezählt. Dieci – nove – otto – sette – sei – cinque – quattro – tre – due –uno – S T A R T, Gänsehaut pur! Ein letztes Abklatschen mit Kerstin und es geht hinein in die Nacht!
Cortina ist schnell passiert und aus Straßen werden Wirtschaftswege, aus Wirtschaftswegen Waldwege, aus Waldwegen Singletrails und es geht eine gute Stunde, noch dicht gedrängt, immer stramm bergauf. Nach 10 km endlich mal wieder herunter. Ein wurzliger Trail windet sich in unzähligen schmalen Kehren talwärts. Jetzt wird Tempo gemacht! Gänsemarsch oder eher Gänserennen! Erster Gedanke: Nicht stürzen! Zweiter Gedanke: Lass Den vor mir nicht stürzen! Dritter Gedanke: Lass Den hinter mir nicht stürzen! Aufatmen im Tal, alles gut und weiter geht es, natürlich nach oben. Zum Glück wartet nach 18 km der erste Verpflegungspunkt, mit warmen Tee und Cola. Ein Genuss, nachts um kurz nach 1.00 Uhr und eine Stärkung für den folgenden Anstieg. Von nun an geht es nicht nur bergauf, jetzt wurde es auch noch richtig steil. Nach 25 km ist die 2.000-er Marke das erste Mal überschritten! Der folgende Downhill zur nächsten Verpflegung ist purer Genuss! „Federavecchia“ – ich liege nach 33 km reichlich 1:30 Stunden vor dem Cut off! Es läuft!
Noch ist es stockdunkel! Im Schein der Stirnlampen sieht man den brutalen Anstieg zum Misurinasee nicht wirklich. Aber man fühlt ihn! Im ersten Morgenlicht dann der See und mit ihm die Marathonmarke, 42 km. Am Horizont die Südwände der „Drei Zinnen“. Zum Heulen schön! Der Weg windet sich unbarmherzig nach oben. Wenn Oberschenkel schreien könnten, hätten es die meinen wohl auch getan! Dann die „Auronzohütte“, 2.333 m hoch gelegen. Es ist frisch. Ich hole aus meinem hier deponierten Dropbag Verpflegungsnachschub. In der Hütte ein Teller warme Suppe, Cola, Brot, Salztabletten, quasi zum Frühstück. Den Trinkrucksack noch schnell aufgefüllt und los geht es Richtung Paternsattel (2.457 m), nicht ohne Fotos der wunderschönen Morgenstimmung zu machen! Bei über 3 Stunden Vorsprung zum Cut off nehme ich mir die Zeit. Ab Paternsattel dann wieder Downhill. Anfangs auf tricky Trails, dann recht angenehm. Die Nordwände der „Zinnen“, im magischen Licht der Morgensonne bleiben lange im Blickfeld. Am „Lago di Landro“ hat die Talfahrt ihr Ende. Auf weniger schönem Forstweg führt der Weg nach „Cimabanche“. 66 km sind vollbracht, über Cut offs brauche ich nicht mehr nachzudenken. Die wärmende Sonne beflügelt förmlich, von Müdigkeit keine Spur!
Mit einem halben Liter Cola im Bauch beginnt der nächste Aufstieg. Ein Forstweg zwar, nur will er irgendwie nicht enden. An den vielen Quellen am Wegesrand verdünne ich oft die Cola im Bauch und schone damit meine Wasservorräte im Rucksack. Auf gut 2.000 m dann der höchste Punkt und die „Malga Ra Stua“ schon bald in Sicht. 75 km, zwei Teller warme Suppe, Cola dazu… und der Trail führt weiter talwärts.
Nach 81 km beginnt der nächste Anstieg, auf 1.250 m bin ich und es geht hinauf auf mehr als 2.300 m! Kinder haben Schilder am Weg aufgestellt. Auf einem prangt in roter Schrift „Highway to Hell“! Das sind Aussichten… Die Landschaft ist umwerfend schön! An den Wasserfällen des „Rio Fanes“ müsste ich eigentlich ein Foto machen. Die Schlucht ist unbeschreiblich! Ich kann mich nur nicht dazu aufraffen zu knipsen. Der Schweiß rinnt in Strömen. Ich setze das durchgeweichte Cap ab, um der Schweißströme Herr zu werden. Wenig später wird mir schwindlig --- Sonnenstich!? Kurzer Abstecher an einen Bach und den Kopf ins eiskalte Wasser. Ein paar Minuten gerastet, dann das Cap ins Wasser und kalt und nass wieder auf den Kopf. Bald geht es mir besser und ich kann das gigantische „Val Travenanzes“ genießen, auch wenn der Trail, zumindest für mich, schwer zu laufen ist. An der „Forcella Col dei Bos“ (2.331 m) überwachen 4 Carabinieri das Geschehen. Einer hat Cola! Ihm werde ich ewig dankbar sein! In stetem auf und ab, 300 m tiefer, dann der km 95, das „Rifugio Col Gallina“. 17.00 Uhr betrete ich diesen Verpflegungspunkt und im selben Moment beginnt ein Gewittersturm. Regen waagerecht, Temperatursturz von 18 auf 8°C --- Sch…, meine Regenhose und das dicke Shirt sind im Koffer! Auf die Strecke will ich nicht, das ist mir zu heikel bei der Blitzhäufigkeit. Also bleibt mir nur abzuwarten, alles anzuziehen was ich mit habe… und zu frieren! 18.30 Uhr ist das Gewitter durch, vermeldet ein deutscher Mitstreiter nach Internet-Recherche. Zum Glück ging es schneller. 18:08 Uhr mache ich mich wieder auf den Weg. Die Lichtstimmung ist unglaublich schön. Im Westen die Sonne, im Osten die Blitze des abziehenden Unwetters.
Das „Rifugio Averau“ (2.413 m) ist bald erreicht. Nachteil jetzt nur, die Trails sind recht schlammig und damit rutschig. „Mutti wird schimpfen“ denke ich, als ich mich ordentlich verdreckt im spiegelnden Hüttenfenster sehe. An der Westflanke von“ Nuvolau“ und „Gusela“ geht es weiter zum „Passo Giau“. Verpflegung, also wieder Suppe, Cola, Salztabletten und ein Blick ins Tal bis nach Cortina! Aber es geht nicht talwärts. Noch nicht! „Forcella Col Piombin“ (2.239 m) und „Forcella Giau“ (2.360 m) wollen noch bezwungen werden, bevor es an der Ostseite der „Croda da Lago“ endlich dem Tal entgegen geht. Die Stirnlampe sitzt nun wieder auf dem Kopf, denn die Dunkelheit hat mich eingeholt. Dazu kommen einige Regenschauer runter! Mit Schuhen die aussehen wie eine Fango-Packung erreiche ich das „Rifugio Croda da Lago“ (2.066 m). 9 km habe ich noch vor mir. Schnell eine warme Kartoffel gegessen und noch einmal Cola. 9 km, das muss doch in einer Stunde machbar sein!? Der Trail belehrte mich eines Besseren! Schon bald nach der Hütte wird er zu einer extrem steilen Schlammrinne. Mühsam, aufgestützt auf meine Stöcke, oder an Ästen und Wurzeln entlanghangelnd, quälte ich mich hinunter. Bei Tageslicht käme kein Mensch auf den Gedanken hier lang zu gehen! Unendlich später ein Forstweg, ich hab es heil und ohne Moorbad vollbracht. Ein Streckenposten sagt mir, es sind noch 4 km. Ich fange wieder an zu laufen. Keine 20 min brauche ich für das Stück bis ins Zentrum Cortinas! Nach 24:49:43 Std. habe ich es geschafft. Ich liege mit Kerstin in den Armen und ziehe stolz die Finisherweste über. Halleluja, das war ein Ritt!
Cola kann ich nicht mehr sehen. Ohne große Umwege geht es in die nächste Bar und ein großes Bier rennt fast nonstop und zischend durch meine Kehle!
12 Stunden später. Wir sitzen an den Wasserfällen des „Rio Fanes“. 5 km sind wir bis hierher gewandert. Ich konnte Kerstin diese Landschaft nicht vorenthalten. Es ist malerisch schön. Ich mache jetzt meine Fotos. Wir kühlen die Füße in einem Bach und sind rundum zufrieden. Unter 24 Stunden wollte ich laufen. Hat nicht ganz geklappt! Ziehe ich die Gewitterpause ab, ist meine Welt aber wieder in Ordnung. Ich war mehr als 5 Stunden vor dem Cut off, bin auf Platz 499 von 750 Finishern gelandet (1.200 Starter) und habe weitere 4 Punkte für die Bewerbung zum „Ultra-Trail du Mont-Blanc“ 2016 auf dem Konto. Für einen Flachlandtiroler ganz ordentlich, denke ich…
Der Lauf ist ein durchaus empfehlenswertes Event, von guter Organisation und sehr guter Streckenkennzeichnung geprägt (meine Navi mit Track habe ich nicht gebraucht). Die Strecke ist teils sehr anspruchsvoll! Allerdings ließen sich sicher logischere Wege finden. Ich hatte den Eindruck, dass mit aller Gewalt Höhenmeter „eingebaut" wurden. Ein paar weniger davon hätten dem Lauffluss gut getan, auch wenn es ein paar Kilometer mehr dadurch geworden wären. Gute Vorbereitung und auch eine Akklimatisierung sind jedenfalls von Vorteil, da 1.200 m Höhe nie unterschritten werden!
Technische Daten zum Lauf:
Lavaredo Ultra Trail: 119 km / 5.850 hm / Limit 30 Stunden /
Start 23.00 Uhr / 4 ITRA-Punkte
Cortina Trail: 47 km / 2.650 hm / Limit 12 Stunden /
Start 8.00 Uhr / 1 ITRA-Punkt
Cortina Skyrace: 20 km / 1.000 hm / Limit 3,5 Stunden /
Start 17.00 Uhr
Website: www.ultratrail.it (italienisch und englisch)
Die Gewinner 2015 (mit unfassbaren Zeiten):
Lavaredo Ultra Trail Damen Caroline Chaverot (FRA) 13:40:34 Std.
Herren Dirdrik Hermansen (NoR) 12:34:29 Std.
Cortina Trail Damen Kim Spence (GBR) 05:42:33 Std.
Herren Davide Cheraz (ITA) 04:43:08 Std.
Cortina Skyrace Damen Monica Gaspari (ITA) 01:52:05 Std.
Herren Manuel Speranza (ITA) 01:41:33 Std.