Auf den Spuren vom Ötzi, dem Mann aus dem Eis
Wie hat er gelebt? Wo ist er überall gewesen? Welche Waffen und Werkzeuge hat er besessen? Wo ist er umgekommen? Wer hat den tödlichen Pfeil auf ihn geschossen? Fragen über Fragen mit denen uns Pim, der älteste unserer Enkel immer wieder Löcher in den Bauch fragte... Seit seinem ersten Besuch im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen, es dürfte zwei Jahre her sein, ist er ein bekennender Ötzifan und hat gefühlt alles an Kinderliteratur studiert, was es zu dem Thema so gibt. In unserem gemeinsamen Sommerurlaub 2018 war es somit gar keine Frage, womit wir uns beschäftigen müssen.
Unseren Auftakt zur Ötzi-Spurensuche starteten wir im Archeoparc im Schnalstal. Ein Besucherzentrum und archäologisches Museum, mit Programmen für Jung und Alt. Von den Ausstellungen begeistert waren wir sofort, aber das Programm nahm uns richtig in seinen Bann! Schon beim Bogenschießen stellten wir fest, dass es früher gar nicht so einfach war, auf diese Art und Weise Fleisch für den Kochtopf zu beschaffen. Pim erholte sich von seinen diesbezüglichen Bemühungen danach erst einmal auf einer Einbaumfahrt.
Nur mit Feuersteinen als Werkzeug Schmuck aus Hirschhorn herzustellen, war dann noch ein Level höher angesiedelt. Während Pim und ich kratzten, schabten und schliffen, zwirbelte Kerstin aus Birkenbast die Schnüre für unsere Schmuckstücke. Aber der Hammer war die Herstellung von Mehl, welches wir unserem Stockbrotteig noch zusetzen mussten. Mann oh Mann! Haben wir geschindert....
Unseren Lohn hatten wir aber bald in den Händen. Tolle Schmuckstücke und natürlich leckeres Stockbrot. Nachdem wir uns noch angeschaut hatten, wie Ötzi einst ein Feuer entfacht hat, waren dann auch schon 4 Stunden wie im Fluge vergangen und mit knurrenden Mägen, ja, Stockbrot macht nicht wirklich satt, verließen wir diese tolle und empfehlenswerte Anlage.
Auf einer anschließenden Wanderung durch das Pfossental werteten wir ausgiebig das Erlebte und Gelernte aus. Dabei wurde natürlich auch die Frage diskutiert, ob der Ötzi aus dem Vinschgau direkt ins Schnalstal aufgestiegen ist oder ob er über das Eisjöchl durch das Pfossental zum Hauslabjoch gelangte. Klären konnten wir das natürlich nicht. Dafür genossen wir leckeren Kaiserschmarrn auf der Mitterkaseralm, mit anschließender Ziegenkäseverkostung. Ein Service, den es vor 5.300 Jahren definitiv nicht gab! Oder doch?
Zur Spurensuche gehörte natürlich auch eine erneute Visite im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen. Zu früher Stunde vor Ort konnten wir seelenruhig und ausgiebig den tiefgekühlten Ice-Man bestaunen. Fotografieren darf man ihn nicht, aber zu diesem Zweck gibt es ja einen "Nachbau". Das Museum arbeitet ständig am Ausbau und der Aktualisierung der Ausstellungen. So konnten wir schon wieder (wir waren zuletzt im Oktober 2017 dort) neue Exponate bewundern und die neuesten Erkenntnisse in Erfahrung bringen, z.B. zum letzten Essen oder zur Herkunft der Kleidung vom Ötzi. Und für Kinder gibt es viele Möglichkeiten aktiv und kreativ durch die Räumlichkeiten zu flanieren.
Nach dem Museumsbesuch gab es nun nur noch eine Sache die unseren Pim brennend interessierte, die Fundstelle am Hauslabjoch....
Eine solche Tour erfordert, vor allem wenn so ein junger Mann dabei ist, ein klein wenig Vorbereitung und vor allem eine stabile Schönwetterlage. Die Vorbereitung stellte kein Problem dar und die Wetterlage war ab 8. Juli perfekt, so dass wir unsere kleine Expedition beginnen konnten. Wir, das waren Pim, Pims großer Teddy, Kerstin, Franz, Rosmarie und ich. Erstgenannter konnte schon am Vorabend vor Aufregung kaum einschlafen und auch das Frühstück war schneller als gewöhnlich verputzt. Endlich, um 10.50 Uhr, begannen wir dann von Vernagt, direkt am Stausee gelegen, unseren Aufstieg zur Similaunhütte. Von 1.700 m auf 3.019 m - - - und wir waren alle gespannt wie Pim sich schlagen würde. Als normal trainierter Erwachsener darf man gut und gerne 3 Stunden für den Aufstieg als reine Gehzeit veranschlagen. Mit Pausen hatten wir schon mal 5 Stunden anvisiert.
Pim zeigte, das sei vorweggenommen, vom ersten bis zum letzten Meter des Tages keine Schwäche. Ein untrüglicher Gradmesser dafür war sein nie still stehender Mund. Er lief vorneweg oder ließ sich vom Franz die Natur erklären. Wann ist hier Schafauftrieb? Wie viele Ziegen sind im Tisental? Wie lange bleiben die Kühe hier oben? Was für eine Blume ist das? Was hat der Ötzi hier gegessen? Wo hatte er seine Feuerstelle....??? Nur zu den Pausen, wenn Essen und Trinken nachgefüllt werden mussten, war mal kurz Ruhe. Auch seinen Rucksack trug er tapfer bis zum Schlussanstieg, während sein Teddy, zur Freude anderer Wanderer, aus meinem Rucksack herausschaute.
Der Weg durch das Tisental ist durchweg gut zu belaufen, Sehr steile Passagen, die einem den Schweiß schon mal auf die Stirn treten lassen, wechseln sich mir gutmütigeren Stücken ab. Nur eins ist es nie, flach! Bei solch tollem Wetter, wie wir es erwischten, ist man natürlich auch nie allein unterwegs. Das Geläute der Glocken von Kühen, Schafen und Ziegen, gespickt mit den schrillen Pfiffen der Murmeltiere macht aus dem Tal zudem einen einzigartigen Konzertsaal.
Pim beschäftigte sich nebenbei damit Orte aus dem Geschehen seines Hörspiels "Ötzi - Die Verfolgungsjagd in der Steinzeit" (Andreas Venzke, ISBN: 978-3-654-60392-6) zu entdecken. Die Geschichte von Tako (Ötzi) und seinem Ziehsohn und Widersacher Broto kennt er schließlich in- und auswendig (wir jetzt auch).
Unser Ziel war klar, aber was hatte den Ötzi nun wirklich hier herauf getrieben? Hat er hier den Steinbock erlegt, der nun nachgewiesener Weise seine letzte Mahlzeit war? Oder war er einfach nur auf der Flucht vor seinem späteren Mörder. Wir werden es wohl nie erfahren!
Auf 2.800 m Höhe wurde es dann ernst! In scheinbar unzähligen Kehren zog der Weg durch ein Geröllfeld stramm hinauf. Zu guter Letzt durch felsige Passagen zum Niederjoch führend, findet er an der Similaunhütte seinen Endpunkt. Bei trockenem Grund kein Problem, mit Nässe oder Schneeauflage durchaus heikel! Jedes Frühjahr gehen über 1.000 Schafe diesen Weg, um auf die saftigen Weiden von Vent zu gelangen und kommen im Herbst auch dick und rund gefressen hier wieder herunter. Wenn die das können.... Wir schafften das natürlich auch. Allen voran Pim, den wir aber auf den steilsten Stücken sicherten.
Um 15.40 Uhr war unser Aufstieg vollbracht und wir standen zufrieden und glücklich vor der Similaunhütte. Raus aus den durchgeschwitzten Sachen, die Wärme der Hütte und natürlich Kaffee und Kuchen genießen. Mal abgesehen vom Ausblick auf Similaun und Co. wurde das dem Ötzi hier nicht geboten, stellte Pim fest. Auch ein Matratzenlager stand dem Ice-Man nicht zur Verfügung, von dem Pim begeistert, die Oma weniger begeistert, Besitz ergriff.
Die Zeit bis zum 3-Gänge-Abendessen verging wie im Flug. Bei der Gelegenheit wurden Pim und ich in die Geheimnisse des Wattens eingewiesen. Der Spaßfaktor dieses Kartenspiels ist schon recht groß, nur in Gänze erschlossen haben sich uns die Spielregeln bis dato noch nicht. Pim hat letztendlich mit Franz gemeinsam gespielt, wegen der erheblich größeren Siegchancen.
Nach einem langen Tag, mit reichlich 1.300 Höhenmetern, verteilt auf 7 km Wegstrecke in den Beinen, verschwanden wir zur Hüttenruhe in unser Lager. Für Pim, zwischen den Damen schlafend, eine ruhige für Rosmarie und Kerstin eine eher unruhige Nacht. Franz schnarchte in der oberen Etage gnadenlos die ganze Nacht, während ich irgendwann diese Geräusche, das Pfeifen des Windes und die auf dem Dach aktiven Marder ignorierte und auch in den Schlaf kam. Aber so ist das nun mal auf einer Hütte.
Die Sonne blinzelte nach 5.00 Uhr schon durch das kleine Fenster und brachte Bewegung in die Hütte. Die Aspiranten für den Similaun wollten die ersten am Frühstückstisch sein um die wunderschöne Lichtstimmung auch im Aufstieg zum Hausberg der Hütte genießen zu können. Wir hielten uns noch etwas länger in den Federn auf, genossen unser Frühstück in Ruhe, standen aber auch um 7.30 Uhr schon abmarschbereit vor der Hüttentür. Der Morgen war kühl und der Wind recht frisch, so dass jetzt auch die dicken Sachen aus dem Rucksack zum Einsatz kamen.
Zunächst hieß es ein größeres Stück in Richtung Vent, bzw. Martin-Busch-Hütte abzusteigen um dann südwestlich hinauf zum Hauslabjoch zu queren. Es gibt noch einen direkten und kürzeren Weg oberhalb der Hütte, den wir aber in schlechter Erinnerung hatten und mit Pim nicht versuchen wollten. Franz und Rosmarie hatten zwar Zweifel, dass unser Absteigen richtig wäre, als der entscheidende Wegweiser dann endlich auftauchte, war die Welt aber wieder in Ordnung.
Den Blick auf die Ostwand des Hauslabkogels und die Fineilspitze gerichtet, wollten nun die "verlorenen" Höhenmeter zurückerobert werden. Nicht nur das, das Hauslabjoch weist 3.210 m Höhe aus und da ist die Luft schon merklich dünner. Pim machte dies nicht allzu viel aus. Kerstin und Rosmarie hatten da schon mehr zu kämpfen. Mal abgesehen von der Schönheit der Bergwelt kam aber nicht nur von Pim wieder die berechtigte Frage, was den Ötzi bewegt hat hier oben unterwegs zu sein. Er hatte keine Fleecejacke und auch keine Goretex-Schuhe. Mit grasgefüllten Fellpuschen und einem Lendenschurz möchten wir jedenfalls hier nicht herumspazieren.
Die Anstrengungen ließen uns jedenfalls nicht frieren. Durch bizarre Gletscherwelten zogen wir unsere Spur zum Joch hinauf. Die Ruhe war schon fast unheimlich. Ein paar Vogelstimmen, das Plätschern vom Wasser und wir selbst waren die einzigen Geräuschverursacher.
2 Stunden nach unserem Aufbruch standen wir an unserem Ziel und Pim hatte sich seinen großen Wunsch selbst erfüllt. Andächtig saß er am großen Steinmann, dem Denkmal für den Ötzi und genoss sichtlich den Moment.
Für Pim gab es zur Feier des Moments etwas zum Naschen, für die Großen einen Gipfel-Williams, auch wenn das Hauslabjoch kein Gipfel ist. Aber wo hat nun der Ötzi genau gelegen? Pim ließ dies keine Ruhe, bis er in der etwas vom Denkmal entfernten Mulde ein Probeliegen veranstalten konnte. Ein paar Fotos noch geschossen und bald darauf machten wir uns auf der Aufstiegsroute zurück zur Similaunhütte, denn trotz der strahlenden Sonne war es hier oben doch lausig kalt.
Die Entscheidung die längere Route zu gehen war goldrichtig. Der direkte Weg von der Similaunhütte wies doch einige heikle, weil vereiste Passagen auf, die für Pim und auch für unsere Damen nicht zur Erfüllung eines Hochgebirgswandertages beigetragen hätten. Die paar Meter mehr waren nicht weniger eindrucksvoll, dafür weitaus sicherer.
Auf dem Niederjochferner konnten wir dann noch roten Schnee entdecken. Nein, es war keine Blutspur vom Ice-Man, vielmehr war es Saharasand der hier hinübergeweht wurde und dieses kleine Phänomen verursacht.
Nach kurzer Mittagspause auf der Similaunhütte, machten wir uns dann an den Abstieg ins Tal. Noch im felsigen Bereich unterhalb der Hütte trafen wir einen Hirten, der Schafe auf die fetten Venter Weiden brachte. Schafauftrieb im Sommer, nicht schlecht und ein weiteres eindrückliches Erlebnis für unseren kleinen Begleiter. Je weiter wir abstiegen, desto mehr nahm uns die Wärme des Tals gefangen. Jacken, Mützen, Hosen, Pullover waren schon bald im Rucksack verschwunden. Die Hitze drückte auch ein wenig auf die Augenlider, so dass eine weitere Pause fällig war.
Das Tal, oder besser Vernagt erreichten wir, trotz fast einstündiger Pause, bereits nach 3:50 Std.! Eine Klasse Leistung, auch wenn es bergab immer schneller geht. Am Ende der Wanderung konnten wir noch einmal 15 km verbuchen, mit +400 hm / -1.700 hm. Nicht nur für einen 6-jährigen eine Klasse Leistung!
Links zur Tour:
Archeoparc
Similaunhütte
Mitterkaseralm im Pfossental
Südtiroler Archäologiemuseum