TDS (Sur les Traces des Ducs de Savoie)
26.-27. August 2015
"Mont-Blanc, ich komme wieder! Wir sind noch nicht fertig miteinander!" Meine Worte am 31. August 2014, nach dem DNF beim "UTMB", dem "Ultra-Trail du Mont-Blanc".
Der Abend des 24. August 2015, es schüttet wie aus Kannen. Ungewohnt frisch ist es auch noch. Wir parken unser Auto vor unserer kleinen Bleibe für die nächsten 7 Tage, am Stadtrand von Chamonix. Mont-Blanc, ich bin wieder da! Kerstin soll das Spektakel der nächsten Tage auch live miterleben, sie ist mein Glücksbringer! Rennen, bei denen sie mit dabei war, gingen immer gut für mich aus...
Nicht nur der Hunger treibt uns ins Zentrum von Chamonix, wir wollen den Start- und Zielbogen der UTMB-Rennen sehen, ersten Kontakt aufnehmen, mit dem was uns erwartet. Das Wetter ist bescheiden, wie es bescheidener nicht sein kann! Die Teilnehmer des PTL, des längsten Rennens, 300 km mit 26.000 hm, haben sich vor einer reichlichen Stunde auf den Weg gemacht. Sie sind schon jetzt Helden für uns!
Nach einem Snack führt uns unser Weg zu Thomas, Anett und Julius. Die drei haben identische Ziele! Mit einer Tasse Bier bzw. Wein feiern wir unser Wiedersehen, stoßen auf die folgenden Tage schon mal an.
Der nächste Morgen lässt uns nicht mit Regentropfen erwachen! Verschlafen treten wir vor die Tür, genießen die frische Luft bei einem lockeren Jogging auf der "Promenade d'Arve", dem Wanderweg zwischen Chamonix und Les Houches, zugleich letzter Abschnitt des TDS, "Sur les Traces des Ducs de Savoie", zu Deutsch "auf den Wegen der Herzöge von Savoyen". Das ist das Rennen, welches Thomas und auch ich am 26./27. August bestreiten werden. Mit dem Ende unserer Morgenrunde schiebt sich auch die Sonne über die "Aiguilles von Chamonix". So wollen wir das haben!
Nach ausgiebigem Sightseeing in Chamonix hieß es am Nachmittag zunächst einmal den "Salon Ultra-Trail" aufzusuchen. Eine der bestbestückten Marathonmessen die wir kennen! So blieb es nicht aus, dass der eine oder andere Schein aus unserem Portemonnaie verschwand. Aber auch interessante Kontakte zu tollen Laufveranstaltungen wurden geknüpft. Nicht nur Thomas schmeckte dann das Schnäpschen am Stand des kroatischen "Velebit Ultra Trail".
Der Höhepunkt des Tages war danach die Startnummernausgabe! Ein Akt für sich und mit allen Ausrüstungskontrollen sicher auch notwendig. Die Apotheken im Ort waren jedenfalls bestens auf den erhöhten Bedarf an selbstklebenden, elastischen Binden von mindestens 1 m Länge vorbereitet.
Das "Kronenbourg", ein französisches Bier, verfehlte seine Wirkung nicht und verschaffte mir einen ruhigen Schlaf! Bis, ja bis der Wecker um 2.30 Uhr ein jähes Ende der Nachtruhe herbeischrie! Rein in die Laufsachen, bissel was essen, obwohl kein Hunger da war, Instant-Kaffee reinschlürfen. Rucksack, Kleidersack und Dropbag fassen und ab ins Stadtzentrum wandern, gut 35 min Weg, denn um 3:45 Uhr geht mein Bus nach Courmayeur. Kaum bin ich auf der Straße quietschen Bremsen neben mir. Ein spanischer Sportsfreund (Carlos, ich danke dir) sortiert die Familie im schon voll besetzten SUV komplett um, so dass auch ich mich noch hineinquetschen kann. 3:05 Uhr sitze ich somit schon an der Haltestelle und bin wenig später der erste der in eines der zahlreich notwendigen Gefährte steigt. Durch den Mont-Blanc-Tunnel gelangen wir auf die italienische Seite des großen weißen Berges und wärmen uns hier zunächst noch in einer Halle auf, bevor wir uns gegen 5.30 Uhr in den Startblock hineinzwängen. Die Stimmung ist unglaublich. Als die Startmusik erklingt, kann ich mir die Tränen gerade noch so verkneifen. Und dann geht es los...
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Ein Stau ist bei 1.809 Startern unvermeidlich und so geht es im noch dunklen Morgen durch die mehr oder weniger engen Gassen von Courmayeur nur im Stop and Go hindurch. Als ich endlich so etwas wie einen Laufrhythmus habe, verlassen wir den Ort und es geht auf einem schmalen Wirtschaftsweg ins Gelände und hinauf zum ersten Kontroll- und Verpflegungspunkt. Im Wanderschritt in der Masse "mitschwimmen", mehr ist nicht drin. Am "Col Checrouit" schrammen wir dann schon knapp die 2.000 m - Marke und haben satte 736 hm in den Füßen. Die Langsamkeit des Ultra-Trailers --- 5,16 km in 1:16 Std.!!! Thomas, der vom Start weg ein hohes Tempo angeschlagen hat, ist auch nur 9 min vor mir hier oben, allerdings reichlich 600 Plätze besser. Das sagt alles zum Gedränge im ersten Anstieg.
Nur schnell eine Cola eingefüllt und flink weiter. Flink ist relativ! Bis zur "Arête du Mont-Favre" auf 2.409 m staut es sich immer wieder, erst im anschließenden Downhill zum "Lac Combal" löst sich das Gedränge auf. Die Standpausen nutze ich einige Fotos zu machen. Die Landschaft ist eigentlich zu schade, um daran vorbeizurennen!
Auch am "Lac Combal" halte ich mich nicht lange auf! Ich liege nur reichlich 45 min vor dem Cut-off! Brutal steil geht es von hier zum höchsten Punkt des Rennens, dem "Col Chavannes", mit 2.584 m! Zum Glück ist es im nordseitigen Aufstieg etwas schattig, so dass man den Trail fast als angenehm genießbar bezeichnen kann. Oben ist die Aussicht natürlich atemberaubend, ebenso wie die merklich dünnere Luft. Was nun kommt, ist das längste Stück in diesem Rennen, dass ich durchgehend laufend zurücklege. Ungefähr 10 km müssen es sein, immer im sanften Downhill! Ich komme auf Betriebstemperatur!
An der "Alpetta" dann ein kurzer und bissiger Gegenanstieg, bis es eher sanft zum "Lago Verney" geht, einem malerischen See, kurz vor der Passhöhe des "Petit Saint-Bernard" und damit dem Übergang von Italien nach Frankreich. Die letzten Höhenmeter vor dem Pass haben es dann aber ordentlich in sich. Ein Kampf auf sehr steilem, schmalen Pfad, mitten durch ein dichtes Alpenrosengestrüpp. Dann verschwindet der "Lago Verney" aus dem Blickfeld, dafür taucht der Verpflegungspunkt auf. Ich habe richtig Kohldampf und lasse mir eine Suppe schmecken, es ist ja auch Mittagszeit.
Gut gesättigt geht es von nun an 15 km bergab nach "Bourg Saint Maurice". Mal auf Wirtschaftswegen, mal auf tricky Trails. Spaß pur! Nur die Sonne meint es mittlererweile fast zu gut. Unten im Tal dann der ersehnte Checkpoint und ich muss meine Trinkblase nachtanken. 1,5 Liter Wasserverbrauch auf diesen 15 km sprechen eine eigene Sprache. Gefühlt 40°C, an einer Apotheke werden aber immerhin 31 °C angezeigt. Was nun zur Hitze noch dazukommt, ist der härteste Anstieg des ganzen TDS. Nur 5 km sind es bis zum "Fort de la Platte", einem alten Festungsbau hoch über dem Tal, aber 1.136 hm stecken da drin. Am Beginn des Anstiegs schenken Kinder Wasser aus einem Brunnen aus. Fast alle nehmen dankbar an. Fast immer in praller Sonne geht es nur mühselig voran. Unter einem der wenigen Büsche mache ich ein schattiges Päuschen, ein Versuch den Körper runterzukühlen. Es gelingt nicht wirklich. 2:25 Stunden später kühle ich im "Fort de la Platte" richtig ab. Es gibt gut gekühltes Bier! Welch ein Genuss!
Ich bin zufrieden, liege 2:30 Std. vor dem Cut-off, habe mich von Platz 1.128 auf 858 vorgearbeitet und es geht mir gut. Keine Blessuren, keine Blasen an den Füßen, nur das Deo hat versagt...
Noch während des Aufstiegs erreicht mich eine SMS von Kerstin. "Julius hat gewonnen!" Thomas' und Anetts Junior hat am Kinderrennen des UTMB in Chamonix teilgenommen. Am Vorabend hatten wir ihm eingeredet: "Der zweite Platz ist der erste Verlierer! Julius, du musst gewinnen!" Wie grandios er die Aufgabe gelöst hat, kann ich mir tags drauf auf einem Handyvideo anschauen. Zudem erhält er die Glückwünsche zum Sieg direkt von Madame Poletti, der Chefin des UTMB! Chapeau Julius!
Beflügelt von Julius' Sieg und dem leckeren Bier kämpfe ich mich weiter hoch zum zweithöchsten Punkt des TDS, dem "Passeur de Pralognan". 2.567 m Höhe will wirklich erkämpft sein. Die Abendsonne bringt nicht nur eine leichte Abkühlung, sie taucht die Landschaft auch in ein fast magisches Licht. An den "Lacs de Forclaz", 5 kleinen Seen, eingerahmt von felsigen Bergketten, gönne ich mir eine kurze Pause um das richtig auskosten zu können, bevor der finale Anstieg wartet, der so Einiges abverlangt. Ich komme aber mit einem Lächeln dort oben an! Einzig der "Ohrwurm", den ich seit 2 Stunden habe macht mich verrückt. Am "Fort de la Platte" haben Kinder mit einem Bagger gespielt. Da fiel mir das Lied im Buch unseres Enkels Pim wieder ein, welches er bei unserem Besuch wenige Tage zuvor bis zum abwinken spielte: "Wer ein Haus bauen will der braucht Steine... Bagger, Bagger, Bagger....". Das ich den Abstieg vom Pass bei Tageslicht machen kann ist Gold wert! Im oberen Teil mit Seilversicherung geht es fast zu wie auf einem Klettersteig. Wer hier ausrutscht, hat garantiert nicht nur den TDS beendet. Man braucht Hände und Füße um voran und vor allem hinunter zu kommen. Im Talboden geht es dafür auf breitem Weg dem "Cormet de Roselend" entgegen, ein großer Verpflegungspunkt und Dropbag-Station.
Hinein in das große Zelt, den Kleidersack geholt. Wenigstens das Shirt will ich wechseln. Lange Hosen brauche ich nicht, die Nacht verspricht nicht allzu kühl zu werden. Im Zelt ist es stickig. Der Lärm den die Läufer und die Zuschauer machen, dazu noch ohrenbetäubender französischer Rap aus den Boxen, kein freies Plätzchen zum setzen und überall herumliegender Müll sind nicht mein Wohlfühlklima. Irgendwie wurschtle ich mich durch, ziehe mich um, tanke die Trinkblase auf, esse etwas, leider zu wenig und mache mich schnell auf den Weg in die klare (Fast-) Vollmondnacht.
Auf dem "Col de la Sauce" merke ich, dass ich zu wenig gegessen habe. Die Power ist weg. "La Gitte", 4 km weiter im Tal ist meine Hoffnung. Leider ist es nur eine Getränkestation. Ein Gel und ein Riegel verschwinden widerwillig in meinem Magen. Weiter geht es auf den "Col Est de la Gitte". Mir ist schlecht, ich kann selbst bergab nicht rennen. Auf dem "Col du Joly" geht es mir richtig dreckig. Zudem trete ich in einen frischen Kuhfladen und trage jetzt auch für ungewisse Zeit Gestank mit mir umher. Einzig gut, mein alter "Ohrwurm" ist weg. Dafür verfolgt mich jetzt die deutsche Schlagerprinzessin "Atemlos durch die Nacht". Nicht viel besser! Am bald folgenden Checkpoint kann ich dann aber am Tisch sitzend anständig essen. Drei Schälchen Nudelsuppe, eben so viele Stücken Kuchen und reichlich Käse, dazu zig Becher Cola. Kurz den Kopf auf den Tisch. Augen zu --- 5 Minuten wirken Wunder! Nach 25 min bin ich wieder auf der Strecke. Ich habe immerhin 3:30 Stunden Vorsprung zum Cut-off!
Es läuft wieder! Gut gelaunt komme ich in "Les Contamines Montjoie" an. Hier ist morgens um 5 Uhr richtig tolle Stimmung. Ich fräse mich durch das Käsebuffet, fülle ein letztes Mal die Trinkblase und freue mich auf die bald aufgehende Sonne am "Col du Tricot", dem letzten Pass. Ungewohnt geht es zunächst auf Asphalt weiter, bevor ein Wirtschaftsweg schottrig zu den "Chalets du Truc" führt. Hier erlöst mich das Tageslicht endlich von der Stirnlampe und auch die Handschuhe verschwinden im Rucksack. Ein kurzer Downhill zu den "Chalets de Miage" und dann steht er vor uns, der "Col du Tricot" und die Serpentinen, über welche er zu bezwingen ist. Mit geht es bestens, bis zur Passhöhe mache ich 27 Plätze gut. Von nun an fast nur noch bergab. Ich fliege. Keine Pausen mehr. Nur an einer Hängebrücke kann ich mir das Fotografieren nicht verkneifen. An der Bahnstation "Bellevue" der Mont-Blanc-Zahnradbahn kommt auch die Jacke in den Rucksack und der Downhill nach "Les Houches" beginnt.
Unendlich zieht sich der Wald hin, durch den der steile Pfad nach "Les Houches" führt, bevor es auf Asphalt den letzten Kilometer zum letzten Verpflegungspunkt geht. Aber wer schreit hier plötzlich "Volker"? Carsten & Janina haben Thomas und mir hier aufgelauert und verpflegen mich nun mit einem gut gekühlten Bier. Ein unerwarteter und unglaublicher Genuss! Der beste Verpflegungspunkt des ganzen TDS!
In Les Houches rufe ich Kerstin an, dass ich im Anmarsch zum Ziel bin. 8 km sind es noch. 5 davon auf der "Promenade d'Arve", welche ich zwei Tage zuvor mit Kerstin locker gejoggt bin. Den letzten nennenswerten Anstieg wandere ich hoch, danach geht es im Laufschritt zum Finale.
Die Stimmung ist unglaublich. Fast jeder an der Strecke klatscht Beifall und bringt mindestens ein "Chapeau" oder "Félicitation" über die Lippen! 500 Meter vor dem Ziel wartet Kerstin und läuft das letzte Stück gemeinsam mit mir. Das ist gar nicht so einfach. Kinder und nicht nur Kinder strecken einem die Hände entgegen, wollen abgeklatscht werden. In den Straßencafés steht man auf und applaudiert. Ich habe Gänsehaut und eine Nackenbürste. Zum Heulen fehlt nicht viel! Und dann ist es geschafft. 29:36:55 Stunden war ich unterwegs. Es reicht für Platz 762 von 1.214 Finishern. Thomas war 26:28:42 Stunden unterwegs, was Platz 423 bedeutet. Aber das Wichtigste, dieses mal hat mich der große weiße Berg nicht klein gekriegt... und, ich habe die Finisherweste! |
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Nach 2 Stunden Schlaf flossen ein paar Biere durch unsere Kehlen, während wir die Zieleinläufe des OCC schauten. Am nächsten Morgen fuhren Kerstin und ich mit der Zahnradbahn nach "Montenvers" zum "Mer de Glace", ein Ausflug den man unbedingt machen sollte. Eine phantastische Bergwelt und zugleich ein schlimmes Zeugnis des Gletscherschwundes. Am Abend schauten wir uns den Start des UTMB an, bevor Thomas und Anett zur "Siegesfeier" und zum leckeren Essen geladen hatten. Am Samstag gab es erste vorsichtige sportliche Aktivitäten im Kletterwald bevor wir uns den Zieleinläufen der UTMB-Favoriten zuwandten. Ja und am Sonntag drehte ich meine ersten Kilometer auf der "Promenade d'Arve". Hierbei war auch mein Entschluss klar, dass ich noch einmal wiederkomme, als Teilnehmer des UTMB. Kerstin wird mit dabei sein, der OCC hat ihr sportliches Herz erobert :-) Und beide wissen wir jetzt, wo das schönste Ziel der Welt wirklich steht.
Ein paar technische Daten zu den Rennen:
Name des Rennens | Länge | Höhenmeter | Schwierigkeit | Ø-Laufzeit |
OCC | 53 km | 3.300 hm | wenig schwer | 10.30 Std. |
CCC | 101 km | 6.100 hm | ziemlich schwer | 22.00 Std. |
TDS | 119 km | 7.338 hm | schwer | 27.30 Std. |
UTMB | 170 km | 10.000 hm | ziemlich schwer | 40.00 Std. |
PTL | 300 km | 26.000 hm | sehr schwer | 136.00 Std |
zur Website des UTMB: http://utmbmontblanc.com/de/
Fotos: K+V.Roßberg / *Maindruphoto / ** C.Rothe / *** A.Spiegel