UTMB - Ultra-Trail du Mont-Blanc 29. - 31. August 2014
Es gibt sie wirklich diese Tage, an denen man meint Weihnachten, Ostern, Geburtstag und alle anderen Festivitäten finden gerade gleichzeitig statt! So ein Tag war der 15. Januar 2014. Wider Erwarten, eigentlich fern jeder Hoffnung, wurde ich als Teilnehmer für den Ultra-Trail du Mont-Blanc aus der Lostrommel gezogen. Kaum zu glauben, Schnappatmung, was ist jetzt zu tun. Nach erster Aufregung zunächst einmal meine Frau und den Rest der Familie informiert. Den gerade abgegebenen Urlaubsplan in der Firma wieder zurückgeholt und angepasst. Flüge ins Zielgebiet gesucht und schnell gefunden, Quartier gesucht und erst Tage später ein bezahlbares gefunden, Trainingspläne angepasst und den eigenen Wettkampfkalender umsortiert... Irgendwann wurde ich dann wieder ruhiger. Das Glück, einer von 2.400 Startern zu sein, welche am 29. August um 17.30 Uhr in Chamonix auf die Umrundung des Massivs des Mont-Blanc gehen dürfen, 168 km und knapp 10.000 Höhenmeter auf teils ruppigen Trails genießen können, zeichnete mir noch lange ein Dauerlächeln ins Gesicht.
Gut vorbereitet, psychischer, physischer und ausrüstungstechnischer Natur, setzte mich das Airportshuttle aus Genf am 28. August dann kurz vor Mitternacht an meiner bescheidenen Ferienwohnung in Les Houches ab, einem kleinen Ort unweit Chamonix. Eigentlich todmüde, leider nur viel zu aufgeputscht um zu schlafen, wurde der Rest der Nacht im Bett hin- und herwälzend verbracht. Mit den ersten Strahlen der Morgensonne ging es dann auch gleich vor die Haustür. Berge gucken! Umwerfend! Die nächste Bäckerei war auch schnell gefunden und mit Kaffee und frischem Baguette wurde der Motor schnell auf Betriebstemperatur gebracht. Nach Vorbereitung der Ausrüstung ging es mit selbiger nach Chamonix zur Startnummernausgabe. Ein langwieriger Prozess! Eine Kontrolle am Flughafen ist nix dagegen! Nachdem man an Hand seines Passes identifiziert wurde, bekam jeder eine Checkliste der Ausrüstungsgegenstände in die Hand. Dann durfte der Inhalt des mühselig eingepackten Laufrucksackes wieder ausgepackt werden und eine nette aber bestimmende Kontrolleurin kontrollierte penibel alle Details und hakte ab, oder auch nicht. Erst nach bestandener Prüfung war man stolzer Besitzer einer Startnummer und der üblichen Unterlagen. Zudem wurde der Rucksack gekennzeichnet und musste zwangsläufig auf die Reise um den großen weißen Berg mitgenommen werden.
Nach dieser Übung gab es für mich noch ein wenig Sightseeing in Chamonix, bevor mich der Bus zurück nach Les Houches brachte. Der Versuch 1 Stunde zu schlafen schlug wieder fehl und so fand ich mich in voller Kampfausrüstung schon am Nachmittag wieder im Start- und Zielbereich des Laufes ein. Kaffee, Kuchen, das eine oder andere Schwätzchen mit bekannten oder unbekannten Mitstreitern ließen die Zeit bis zum Startschuss wie im Fluge vergehen.
Im Bestzustand aller Systeme, nur eben aufgeregt wie noch nie, trollte ich mich um 17.10 Uhr in die Startaufstellung hinein. Eine unglaubliche, so noch nie erlebte Stimmung! Das scheint es wirklich nur beim Ultra-Trail du Mont-Blanc zu geben! Zum "Conquest of Paradise" von Vangelis gab es Dauergänsehaut und auch der strömende Regen beim Startschuss gab der Stimmung keinen Abbruch. Durch ein grandios begeistertes Zuschauerspalier, wie in Alpe d'Huez zur Tour de France, ging es hinaus aus Chamonix und zunächst etwas hügelig auf der Promenade d'Arve nach Les Houches, an meiner Bleibe vorbei.
Der strömende Regen war zunächst in Nieselregen übergegangen, bevor es hinter Les Houches, im ersten bissigen und langen Aufstieg nach Le Délevret (1.153 m) wieder schüttete, was es nur so schütten kann. Schnell war der Laufrucksack leerer als gedacht, weil ich einen großen Teil der mitzuführenden Sachen da schon angezogen hatte. Die Piste war mittlerweile natürlich auch ganz schnell in eine schlammige und rutschige Angelegenheit mutiert, welche mir, als schlechtem Bergabläufer, beim Downhill nach St. Gervais, dem ersten Cut-Off-Point, doch ordentlich zusetzte. Aber alles gut! Im Rahmen meiner Taktik, im ersten Teil des Rennens immer 30 - 15 Minuten vor dem Cut zu laufen, lag ich hier nahezu perfekt im Rennen. Nach einem ordentlichen Energieschub aus Suppe, Cola, Kuchen... ging es weiter in die triefend nasse Nacht, nach Les Contamines.
Durch zeitweise knöcheltiefen Schlamm war dieser Wegabschnitt, welchen ich aus vergangenen Urlauben recht gut kannte, ein kleines Martyrium. Wenn die Schuhe erst einmal nass sind, hört man aber irgendwann auf Pfützen oder Schlammlöchern auszuweichen. Der letzte Wegabschnitt, ein recht steiler Aufstieg in die Ortslage Les Contamines war dann der Schlamm-Hammer schlechthin. Nur nicht der Länge nach in diese Pampe reinfallen und den halben Berg wieder runterrutschen war die Devise. Wie ein eben der Suhle entstiegenes Wildschwein fühlte ich mich an der Zeitnahme, zudem irritiert, nur 15 min vor dem Cut Off zu liegen. Aber, der Regen hörte bald auf, die Wege wurden fester und ich konnte zulegen. In la Balme hatte ich schon 35 Minuten Vorsprung und reihte mich nach einem weiteren Süppchen in die leuchtende Läuferschlange zum Col und Croix du Bonhomme (2.439 m) ein.
Fast 1.000 Höhenmeter hinunter nach Les Chapieux waren danach ein weiteres Highlight. Was ich bergauf gut gemacht hatte, war schnell wieder verloren. Aber es war mir lieber mit heilen Knochen dort anzukommen, als die Dienste der Sanitäter in Anspruch zu nehmen, welche gut beschäftigt waren. Eine Bruchlandung blieb bei mir leider auch nicht aus, nur verlief sie glimpflich und weniger Haut auf einem Knie heißt auch weniger Ballast...
Komfortable 25 min vor dem Cut schlürfte ich die nächste Suppe, einen gefühlten Liter Cola und fräste mich durch 4 leckere französische Käsesorten (wirklich!), bevor der Berg wieder rief. 10,3 km, durchgehend aufsteigend, zum Col de la Seigne (2.502 m) sollten auch nur mit vollem Tank angegangen werden. Eine Schinderei war es dennoch, aber eine Schöne! Die aufgehende Sonne über dem Mont-Blanc-Massiv, das Lichterspiel am Mont Tondu, auf welchen ich vor einigen Jahren mit Junior Paul meinen Fuß setzte konnte, ließen die Qual vergessen. Es war eher zum Heulen schön!
Benvenuti in Italia schallte es uns auf der Passhöhe entgegen. Hier wurde nun die Grenze zwischen Frankreich und Italien passiert. An der atemberaubenden Schönheit der Landschaft, die sich im folgenden Talabstieg auftat, änderte dies nichts. Nur die vereinzelten Wanderer, welche uns entgegenkamen grüßten mit Boungiorno statt Bonjour, ausgenommen die größeren Wandergruppen aus dem Land des Lächelns. Vorbei an den Südhängen der Aiguille de Trélatête, am Fuß des Miage-Gletscher entlang zum Lac Combal, dem nächsten Cut-Off-Point, verschlenderte ich dann so einige Zeit mit Fotografieren und dem landschaftlichen Genüssen. 5 Minuten vor Ultimo als Durchgangszeit ließen mich dann doch wieder mehr Druck auf die Sohlen bringen. Das war auch nötig, denn der nach Passage der Miage-Seen lauernde Aufstieg zur Arête du Mont-Favre hatte es wieder in sich. Trotz der heftigen 500 Höhenmeter holte ich aber hier wieder gut 10 Minuten auf. Der Downhill zum Col Checrouit war dann wieder von Fotosessions durchsetzt. Zu schön war der Ausblick auf den Mont-Blanc und die Grandes Jorasses. So war mein kleiner Vorsprung auch schnell wieder dahin.
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Meine Gewissheit, dass die nun folgenden 3,8 km nach Courmayeur hinunter eine leichte Übung von maximal 25 bis 30 Minuten sei, ließ mich am Col Checrouit noch einmal in Ruhe eine Suppe verspeisen, bevor es hinab ging. Aber oh Sch..., es war nicht der breite Wirtschaftsweg, wie von mir vermutet, sondern ein teils extrem steiler, von Wurzeln, Steinen und lockerem Sand durchsetzter Singletrail, der sich bald auftat und in unzähligen Serpentinen talwärts führte. Ein Wegweiser für Wanderer, 1,5 Stunden bis ins Tal, ließ meine Alarmglocken schellen. Aber auf der diffizilen Strecke war nicht viel Speed rauszuholen für mich. "Mission Impossible" sagte eine französische Läuferin, die mit mir nun das fast Unmögliche versuchte. Nach zähem Kampf erreichten wir gemeinsam die Wiese am Fuß des steilen Hanges und gleichzeitig schlug die 12 mal....
Aus der Traum? Nein noch nicht! Alle Kraft zusammen genommen und so schnell als es ging hin zum Sportzentrum von Courmayeur. Die lassen mich sicher noch durch, ganz sicher...! Eine Fotografin feuerte mich mit typisch italienischer Begeisterung an, rang mir damit sogar ein Lächeln ab. Aber, ...Ernüchterung beim Einlaufen ins Stadion. Keine Zeitnahme mehr. "Dein Rennen ist zu Ende!" "Keine Diskussion!" Weder auf Deutsch, auf Englisch, Französisch noch im Gemisch aus Allem. "Dort steht der Bus nach Chamonix, steig ein!"
So sitze ich nun im Bus und es mangelt an klaren Gedanken. Um mich herum Läufer die völlig fertig oder verletzt sind. Und ich? Ganz sicher etwas müde, aber voll im Saft um gut die zweite Laufnacht zu überstehen, schneller zu laufen als bisher, das Feld von hinten aufzurollen und mit 40 - 42 Stunden zu finishen. Es hätte so schön sein können. War der Berg stärker als ich? War ich zu blauäugig oder zu großkotzig gegenüber dem Berg? So schlecht war doch meine Taktik gar nicht? Die Fragen werden mich wohl noch lange beschäftigen. So hocke ich nun im Bus und würde mir, wenn ich denn könnte, vor Wut in den Hintern beißen.
Mit grimmigem Gesicht, ziemlich verdreckt, das Deo hatte schon lange seinen Dienst eingestellt, sitze ich bald darauf, sicher zur "Freude" der anderen Fahrgäste, im nächsten Bus nach Les Houches. Duschen, nach Hause telefonieren, schlafen....
Schlafen! Das war wirklich schlafen! 15.30 Uhr nachdem ich Kerstin am Telefon mein Elend geschildert hatte, sank ich in die Federn. Kurz unterbrochen von SMS-Piepsen einiger Freunde, denen ich noch ein Lebenszeichen sendete. Sonntag früh um 7.00 Uhr war die Nachtruhe erst wieder vorbei. Selbst frisches Baguette und Kaffee ließen meine Laune aber nicht besser werden. Ab zum Tourismusbüro, hier hatte ich Internetzugang. Beim Lesen der Nachrichten von Familie und Freunden, welche mich auf dem Livetrack über Facebook verfolgten, steht mir das Wasser in den Augen. Wie steh ich jetzt da? Das Rennen meines Lebens und ich hab es stümperhaft verrissen....
Was nun? Ab nach Chamonix und Zieleinläufe und Siegerehrungen anschauen. Den Gedanken an ein Frust-Saufen lasse ich nach dem ersten Bier wieder sausen. Schon französische Bierpreise sprechen dagegen. Nächster Gang in die Kirche St.-Michel, direkt hinterm Ziel. Eine Kerze ist mir die Sache schon wert, denn ich bin immerhin heil aus der Nummer raus gekommen. Nun reihe ich mich ein, in die Zuschauermenge am Streckenrand und feuere die mit an, die es besser gemacht haben als ich. Dabei wird mir eines klar. So einen Zieleinlauf möchte ich auch haben! Das ist schon als Zuschauer ein unglaubliches Erlebnis, wie muss das erst sein, selbst durch die enge Gasse zu laufen. Mont-Blanc, ich komme wieder! Wir sind noch nicht fertig miteinander...
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Montagmorgen, 1. September, Abreisetag. Mein Flieger geht erst spät Abends. Nach dem Lauf ist vor dem Lauf! Und ich habe ein Mission, eine offene Rechnung mit dem großen weißen Berg. Trainingsauftakt für die Mission ist angesagt. Auf der UTMB-Strecke laufe ich in mystischer Morgenstimmung von Les Houches nach Chamonix. Die Promenade d'Arve ist zwar kein Aussichtsbalkon, bietet aber hervorragende Ausblicke auf den Mont-Blanc, die Aiguille du Midi und die "Nadeln" von Chamonix. Am Klettergarten les Gaillands drehe ich um, mein Entschluss steht fest. Ich werde hier wieder laufen und ich werde die Runde schaffen! 15 Trainingskilometer auf dem Weg zum fernen Ziel habe ich bald darauf schon in den Füßen.
zur Website des UTMB: http://utmbmontblanc.com/de/
Fotos: V.Roßberg / *Maindruphoto